1. Schon seit dem ersten „Star Fox“-Spiel

Iwata:

Heute möchte ich mich über „Steel Diver“ unterhalten. Würden Sie sich bitte kurz vorstellen?

Sugiyama:

Mein Name ist Sugiyama; ich arbeite in der Abteilung für Softwareentwicklung der Entertainment Analysis & Development Division (EAD). Bei diesem Spiel habe ich als Produzent fungiert.

Iwata Asks
Imamura:

Ich war der Direktor. Mein Name ist Imamura; ich arbeite ebenfalls in der Softwareentwicklungs-Abteilung.

Iwata Asks
Goddard:

Und ich war der Hauptprogrammierer. Ich bin Giles Goddard von Vitei Inc.1 Vielen Dank für die Einladung. (Anm. d. Red.: Goddard sprach bei diesem Interview Japanisch; seine Bemerkungen wurden von Nintendo ins Englische und schließlich ins Deutsche übersetzt.) 1 Vitei Inc.: 2002 gegründetes Unternehmen, das Videospiele entwickelt. Hauptsitz: Kyoto. CEO: Giles Goddard.

Iwata Asks
Iwata:

Ich freue mich sehr, Sie dabeizuhaben. Sie stammen aus England. Als Sie nach Japan kamen, arbeiteten Sie zunächst lange Zeit in Mr. Miyamotos Team, bevor Sie eigene Wege einschlugen.

Goddard:

Stimmt.

Miyamoto:

Wie alt waren Sie denn, als Sie in jungen Jahren nach Japan kamen?

Imamura:

Sie waren 18, oder?

Goddard:

Genau.

Miyamoto:

Wir haben zusammengearbeitet, seit er 18 war, wir kennen uns also schon ewig.

Iwata:

Vielleicht sollten wir am Anfang beginnen?

Imamura:

An welchem Anfang?

Iwata:

Wie kam es denn zu Ihrem ersten Zusammentreffen mit dem „jungen Mr. Goddard“ (lacht), als er damals aus England nach Japan kam?

Imamura:

Ach, das meinen Sie mit „Anfang“ (lacht)

Miyamoto:

Schon alleine damit könnten wir das ganze Interview bestreiten! (lacht)

Alle:

(lachen)

Iwata:

Er kam vor etwa 20 Jahren nach Japan, um uns zu helfen, als Nintendo seine ersten 3D-Versuche mit dem Super Famicom-System machte.

Miyamoto:

Ja, er war unser Helfer aus Übersee! (lacht) Damals unterhielten wir eine Partnerschaft mit einem englischen Unternehmen, das sich mit 3D-Grafik befasste; und wir baten diesen Partner darum, uns einige seiner Programmierer zu schicken. (Anm. d. Red.: Der Ausdruck „Helfer aus Übersee“ (suketto gaikokujin) ist ein geläufiger Begriff aus dem japanischen Baseball, wo er als freundschaftliche Bezeichnung für ausländische Spieler der Liga verwendet wird.)

Imamura:

Es kamen damals insgesamt drei, einschließlich Mr. Goddard.

Miyamoto:

Stimmt. Und zwei von ihnen waren gerade erst eingestellt worden und noch grün hinter den Ohren! (lacht) Wie lange waren Sie bei Ihrem früheren Arbeitgeber beschäftigt, bevor Sie zu Nintendo kamen?

Goddard:

Etwa drei Jahre.

Miyamoto:

Drei Jahre, bevor Sie 18 waren, das heißt ja …

Goddard:

Ich habe gearbeitet, seit ich 16 war.

Miyamoto:

In England wählen viele Leute ihr Fachgebiet bereits in der Sekundarschule und suchen sich direkt nach dem Abschluss einen Job. Ich war wirklich überrascht, wie toll Sie ihre Arbeit bereits in so jungen Jahren machten.

Iwata:

Damals wurde das erste „Star Fox“-Spiel2 gemacht. Ist Ihnen irgendetwas besonders in Erinnerung geblieben? 2 Star Fox: Ein 3D-Shooter-Spiel, das im Februar 1993 in Japan für das Super Famicom-System (Super NES) erschien. Es war das erste Videospiel, das den Super FX-Chip verwendete, der das Rendern von 3D-Räumen möglich machte. In Europa kam das Spiel im Juni 1993 unter dem Titel „Starwing“ heraus.

Imamura:

Ich kann mich vor allem daran erinnern, wie beeindruckt ich von den verblüffenden Demosequenzen war, die Mr. Goddard programmiert hatte! Die CG war damals noch gar nicht entwickelt, aber mit seiner Kameraführung war das einfach …

Iwata:

Es sah super aus.

Imamura:

Allerdings. Wir gaben ihm einfach einige grobe Storyboards und forderten ihn auf, etwas daraus zu machen.

Iwata:

Heutzutage, mit den modernen Werkzeugen und Hilfsmitteln, passen die Designer die Kameras an. Aber damals war die Kameraführung Teil der Arbeit des Programmierers.

Imamura:

Ja, genau.

Iwata:

Damals machte das Gespür des Programmierers für Dinge und Objekte einen Riesenunterschied für das Ergebnis.

Imamura:

Allerdings. Als ein anderer Designer und ich die Kameraführung beim Durchflug durch die Passage in die Festung des letzten Gegners sahen, waren wir beide absolut überwältigt.

Miyamoto:

Ich habe überhaupt erst gelernt, Anweisungen zur Bewegung der Kamera zu geben, weil Mr. Goddard mir gezeigt hat, wie er vorging. Ich schrieb dann die Spezifikationen, die erläuterten, wie der Arwing (Kampfjet) bei einem bestimmten Kamerawinkel ausgerichtet sein sollte.

Iwata Asks
Goddard:

Ich habe jede Menge Demos für die Darstellung des Arwing gemacht.

Miyamoto:

Stimmt, das war ein ganzer Haufen! (lacht) Die Bewegung des Arwing war immer ganz anders, je nachdem, ob die Kamera nach oben oder unten schwenkte oder still blieb.

Imamura:

Ah ja, stimmt.

Miyamoto:

Mr. Goddard hat mir außerdem das Jonglieren beigebracht.

Iwata:

Jonglieren?

Miyamoto:

Ja. Sie wissen schon – wie ein Clown, der Bälle jongliert. Alle Programmierer aus England beherrschten das.

Iwata:

Alle drei, die zu Nintendo kamen, konnten das?

Goddard:

Ja. (lacht)

Miyamoto:

Sie saßen da und jonglierten und warfen dann plötzlich eine Diskette rüber.

Iwata:

Bitte? Sie warfen mit Disketten?

Miyamoto:

Es gab doch kein Netzwerk.

Iwata:

Ach so, die Computer waren damals nicht miteinander verbunden.

Goddard:

Daher warfen wir einander Disketten zu, um Dateien weiterzugeben.

Miyamoto:

Sie fingen sie dann aus dem Flug auf und stopften sie in unseren Computer. (lacht) Und wenn sie ein paar freie Minuten hatten, jonglierten sie mit drei Bällen. Das hat mich fasziniert und ich bat sie, mir zu zeigen, wie das geht.

Iwata:

Oh! (lacht) Mr. Goddard, wie war das für Sie, im Alter von 18 Jahren nach Japan zu kommen und für Nintendo zu arbeiten?

Goddard:

Ich wusste überhaupt nichts über Japan. Ich dachte, alle hier könnten Englisch.

Iwata:

Ah … (lacht)

Goddard:

Aber fast niemand sprach Englisch …

Iwata:

Das war sicher nicht einfach.

Goddard:

Manche Leute konnten natürlich Englisch, aber als ich feststellte, dass ich nicht mit den Leuten um mich herum kommunizieren konnte, bekam ich richtige Panik. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Die ersten sechs Monate waren am schwierigsten. Ich dachte mehr als nur einmal darüber nach, nach England zurückzukehren.

Miyamoto:

Wirklich?

Goddard:

(lässt den Kopf hängen) Ja.

Iwata Asks
Iwata:

Das sind ja schockierende Enthüllungen! (lacht)

Goddard:

Aber ich wusste, dass ich eine Riesenchance bekommen hatte, obwohl ich doch erst 18 war.

Miyamoto:

Wenn Sie nach England zurückgegangen wären, hätte das erste „Star Fox“ – und auch „Stunt Race FX“3, das wir danach angingen – sicher ganz anders ausgesehen. Und „1080° Snowboarding“4, das wir später gemacht haben, hätte vielleicht nie das Licht der Welt erblickt. 3 Stunt Race FX: Ein 3D-Rennspiel, das im Juni 1994 in Japan für das Super Famicom-System (Super NES) veröffentlicht wurde. Es war das zweite Videospiel, das den Super FX-Chip nutzte. 4 1080° Snowboarding: Ein Snowboard-Actionspiel, das im Februar 1998 für das Nintendo 64-System in Japan herauskam.

Imamura:

Stimmt. Und „Steel Diver“ hätten wir möglicherweise auch nicht machen können.

Miyamoto:

Ich bin wirklich froh, dass er geblieben ist! (lacht)

Alle:

(lachen)