5. Den Rhythmus in der Brust

Iwata:

Aber Sie sind keine professionellen Synchronsprecher. Wenn Sie also jemand zum Schreien auffordert, dann sind Sie dazu gar nicht in der Lage, ohne einen Schalter umzulegen.

Masaoka:

Nach ein paar Mal gewöhnt man sich daran. Aber als Mr. Yone mich das erste Mal bat zu schreien, wusste ich nicht, was ich machen sollte.

Yone:

(lacht)

Iwata:

Normalerweise schreit man nicht bei der Arbeit.

Masaoka:

Genau. Wegen meiner Arbeit als Programmierer bin ich noch nie heiser geworden. (lacht)

Iwata Asks
Takeuchi:

Es gibt auch ein Spiel namens

Video: Rapperliebe

Aber Sie sind keine professionellen Synchronsprecher. Wenn Sie also jemand zum Schreien auffordert, dann sind Sie dazu gar nicht in der Lage, ohne einen Schalter umzulegen.
Rapperliebe . Ich tat mein Bestes, um eine feurige Stimme hervorzubringen, aber als wir das Ergebnis Mr. Tsunku zeigten, sagte er: „Das hat keinen Schwung!”

Tsunku:

Wenn es keinen Schwung hat, (klopft auf den Tisch) dann hat es vielleicht Rhythmus, so wie ♪takka-takka, takka-takka, aber stattdessen dröhnte es nur monoton ♪taka taka taka taka.

Iida:

Hätte der Song Schwung, würde der Sound ♪i-n-to-you, i-n-to-you so klingen wie ♪iin-to-you, iin-to –aber das tat er nicht.

Takeuchi:

Manchmal haben wir deswegen bis spät in die Nacht Überstunden gemacht.

Masaoka:

Wir sagten immer: „Mr. Takeuchi, sollen wir es noch mal probieren?” (lacht)

Yone:

Letzten Endes haben wir doch alle Songs ausgetauscht.

Takeuchi:

Ja. (lacht)

Iwata:

Mr. Tsunku würde niemals den wesentlichen Kern des Spiels gefährden.

Tsunku:

Ohne diesen Kern wäre es einfach nur ein skurriles Spiel. Wenn zum Beispiel ein „In to you!” keinen Rhythmus hat, dann würde das Spiel seinen Reiz verlieren.

Iwata Asks
Iwata:

Es war also ganz gleich, wie lange Mr. Takeuchi daran gearbeitet hatte. Hatte der Song keinen Schwung, dann war er nicht zu gebrauchen.

Tsunku:

Wenn ich gewusst hätte, dass er manchmal die ganze Nacht lang durcharbeitete, hätte ich vielleicht doch gesagt: „Ähm … ist das vielleicht doch ok?” (lacht) Aber weil Tokio und Kyoto doch ziemlich weit voneinander entfernt sind, gibt es keinen so regen Informationsaustausch. Da sagt man dann ganz lapidar: „Das Lied hat keinen Schwung“, und das war’s dann. Aber manchmal hat diese Schroffheit auch ihr Gutes.

Takeuchi:

Ich fürchtete mich damals manchmal vor unserem nächsten Meeting! (lacht)

Alle:

(lautes Gelächter)

Iwata Asks
Iwata:

Aber es war doch nicht so, dass er etwas gegen Sie hätte.

Takeuchi:

Ich weiß, aber …

Tsunku:

Aber das wäre doch komisch, wenn es so wäre! (lacht)

Takeuchi:

Nein, nein, nein, nein, nein! Warum?! (lacht)

Kamada:

Das war wie ein Schlag. In dem Moment, in dem er es hörte, verfinsterte sich Mr. Tsunkus Miene leicht, und er sagte: „Das hier hat keinen Schwung!” (lacht)

Iwata Asks
Takeuchi:

Brr, das macht mir Angst! (lacht)

Kamada:

Aber es hatte wirklich keinen Schwung.

Takeuchi:

Deshalb ließ ich bei unseren Treffen den Kopf hängen.

Tsunku:

(lacht)

Iwata:

Viele Leute haben selbst die Erfahrung gemacht, dass Sie den Rhythmus nicht so sehr mit dem Kopf, sondern erst dann viel besser verstehen, wenn sie richtig in die Musik einsteigen und den Rhythmus selbst vor sich hin hämmern. Ich denke, das kann jeder nachvollziehen, der an diesem Projekt beteiligt war.

Masaoka:

Das stimmt. Wenn Tsunku sagt: „So geht das nicht“, dann klopft er dabei auf den Schreibtisch. Hört man diesen Schlag oder den Klang von Schritten, dann entwickelt man ganz automatisch ein Gefühl für den Rhythmus.

Iwata:

Ich denke, ein weiterer wichtiger Aspekt der Serie ist das „Remix-Element“, bei dem ein Rhythmus in den nächsten übergeht. Was unterscheidet Leute, die Probleme mit den Remixen haben, von solchen, die diese gut hinkriegen?

Tsunku:

Wenn Sie alle vier Spiele bis zum Remix durchspielen, können Sie es bemerken. Und wenn Sie alle vier Spiele gespielt und immer noch Schwierigkeiten haben und sich einfach so durchwurschteln, sollten Sie aufstehen und genau auf den Klang des Rhythmus achten.

Iwata:

Warum kriegt man das besser im Stehen als im Sitzen hin?

Tsunku:

Sie spielen das Spiel nicht einfach nur mit den Händen. Viel besser ist es, den Rhythmus in seinem Körper, in seiner Brust, zu halten.

Iwata:

In seiner Brust?

Tsunku:

Ja. Und in den Knien und den Füßen. In der Musik, genauso wie beim Sport und beim Tanzen, setzt man auch nicht die Fersen ab. Hält man diese hoch, spielt man das Spiel, die Gitarre oder was auch immer viel besser. Es ist ähnlich wie beim Annehmen des Balls beim Tennis. Das kann man einfach nicht, wenn die Füße dabei platt auf dem Boden stehen, oder? Bringt sich der Torwart in Position, um einen Ball zu halten, dann lehnt er sich auch auf den Zehen nach vorn. Es ist viel besser, das Spiel so zu spielen, weil man auf diese Weise viel schneller reagieren kann. Das Spiel lässt sich besser im Stehen spielen, weil man so viel schneller einsatzbereit ist.

Iwata:

Oh, ich verstehe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der sich nur wenig mit Rhythmus beschäftigt, so etwas sagen würde wie: „Den Rhythmus eher in der Brust als in den Händen haben.“ Stehen die Leute bei Nintendo zum Spielen auch auf?

Masaoka:

In der Firma schreckte jeder davor zurück, von seinem Stuhl aufzustehen. Ich habe aber ganz viele mit den Füßen stampfen hören.

Yone:

Ich möchte aber aufstehen! (lacht)

Iwata:

Nur so nebenbei: Hatten Sie bei der Entwicklung irgendwann einmal das Gefühl, in Zugzwang zu geraten?

Masaoka:

Auf halber Strecke gab es mal einen Moment, an dem wir zwar viele Spiele hatten, aber dachten: „Was sollen wir jetzt damit machen?“

Yone:

Das war noch, bevor wir mit den Remixen anfangen konnten.

Iwata:

Sich zu überlegen, welche vier Sie in einem Remix zusammenführen wollten, muss doch wie das Zusammensetzen eines Puzzles gewesen sein. Nach welchen Kriterien wählten Sie die Spiele aus?

Yone:

Wir haben die Songs von Mr. Tsunku bekommen und verschiedene Kombinationen ausprobiert. Insbesondere Lieder mit Texten, die sich perfekt für einen Remix zu eignen schienen, hatten eine große Wirkung. Ich glaube, bei der Auswahl der Remixe haben wir uns die meisten Sorgen gemacht.

Iwata Asks
Iwata:

Dann gab es hierbei also auch eine Phase des Ausprobierens, so als wenn man nach dem richtigen Puzzleteil sucht.

Tsunku:

Am meisten regte ich mich wohl darüber auf, wie schwierig das Spiel werden sollte. Leute, die das Spiel für den Nintendo DS gespielt hatten, erwarteten wohl schon etwas Anspruchsvolleres. Daher fragte ich mich, ob wir das Spiel von Anfang an knifflig gestalten oder aber auch Neulingen den Einstieg erleichtern sollten. Lange überlegte ich mir, was das Spiel einfach, mittelschwer oder schwierig machte.

Iwata:

Irgendjemand muss solche Kriterien festlegen.

Tsunku:

Als wir so alles Mögliche ausprobierten, machten wir uns Sorgen, das Spiel könnte zu schwierig werden. Daher gingen wir zu Leuten aller Altersgruppen – von neuen Mitarbeitern und weiblichen Team-Mitgliedern in den Zwanzigern bis hin zu Leuten um die 50 – und baten diese ohne weitere Erklärungen, das Spiel auszuprobieren. Und sie schafften es nicht, das Spiel zu spielen. Viele der Team-Mitglieder spielen nicht so oft Videospiele. Daher mussten sie zunächst fragen, welche Buttons man verwendete. Es brauchte seine Zeit, bis ich die richtigen Kriterien ermittelt hatte.

Iwata Asks
Yone:

Dann dachten wir, vielleicht kriegen die Spieler das Spiel hin, wenn wir es ganz einfach machen. Daher ließen wir das Spiel von dem neuen Team bei Mr. Tsunku testen. Da waren wir schon recht nervös und dachten: „Mensch, bitte schafft das!“ Wir waren wirklich angespannt und dachten: „Was bloß, wenn sie da über etwas stolpern?“ (lacht)

Iwata:

Das ist doch lustig, dass dieses Mal nicht die Leute nervös waren, denen man über die Schulter sah, sondern eher die Leute, die zusahen! (lacht) Mr. Tsunku, sind Sie ganz von selbst auf die Idee gekommen, gezielt Leute auszuwählen, die wenig geübt im Spielen von Videospielen sind, und diese dann das Spiel auszuprobieren zu lassen?

Tsunku:

Ja, das bin ich.

Iwata:

Mr. (Shigeru) Miyamoto, der Mario Bros. gemacht hat, geht auch so vor. Es überrascht mich, dass Sie ganz von selbst auf genau die gleichen Ideen und Vorgehensweisen wie er gekommen sind.

Tsunku:

Das überrascht mich jetzt auch.

Iwata:

Ich hatte jetzt innerhalb von sechs oder sieben Jahren dreimal das Vergnügen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Das ist schon eine geheimnisvolle Verbindung, aus der solche Spiele wie dieses hervorgehen.

Tsunku:

Das finde ich auch.

Iwata:

Ich würde mich freuen, wenn wir diese Begeisterung an die Spieler weitergeben und so überall in der Welt die Leute vor den Fernsehbildschirmen zum Lachen bringen könnten.