Heute möchte ich mit Ihnen über die Entwicklung von „Spirit Camera: Das verfluchte Tagebuch“ für das Nintendo 3DS-System sprechen. Ich danke Ihnen, dass Sie sich Zeit genommen haben.
Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite.
Bitte stellen Sie sich doch zunächst einmal alle kurz vor.
Ich bin Keisuke Kikuchi von Tecmo Koei Games. Als Produzent von „Spirit Camera: Das verfluchte Tagebuch“ habe ich bei der Entwicklung des Konzepts geholfen, die Methodik für die einzelnen Elemente festgelegt und das Projektmanagement übernommen.
Mein Name ist Toshiharu Izuno; ich arbeite in der Abteilung für Softwareplanung & -entwicklung. Als Produzent bei Nintendo habe ich das Produktkonzept und den Inhalt vorgeschlagen. Ich arbeite schon seit dem Projekt „Zero: Tsukihami no Kamen“1 für die Wii-Konsole mit Mr. Kikuchi zusammen. 1. Zero: Tsukihami no Kamen: Ein Spiel, das in Japan im Juli 2008 für die Wii-Konsole erschien. Es war das vierte Spiel der Horror-Serie „Zero“ (in Europa bekannt als „Project Zero“), die von Temco herausgegeben wurde. Es war außerdem der erste Titel, an dem Tecmo Koei Games und Nintendo zusammenarbeiteten. Das Spiel wurde außerhalb Japans nicht veröffentlicht.
Ich bin Kozo Makino und arbeite ebenfalls in der Abteilung für Softwareplanung & -entwicklung. Ich habe bei Nintendo als eine Art Produzent fungiert. Ich habe gemeinsam mit Mr. Kikuchi Vorschläge gemacht, mit Tecmo Koei Games detaillierte Inhalte eingebracht und an dem AR-Buch2 gearbeitet. 2. AR-Buch: Ein Büchlein, das dem Spiel „Spirit Camera: Das verfluchte Tagebuch“ beiliegt. Die Spieler verwenden es im Verlauf des Spiels, wenn sie die Nintendo 3DS-Kameras benutzen.
Es gibt da übrigens eine geradezu schicksalhafte Verbindung zwischen Mr. Makino und Mr. Kikuchi.
Ach ja?
Mein Vater war in der Oberschule sein Lehrer.
Wirklich?! (lacht)
Ja, er war mein Mathelehrer. Es war zum Teil sein Einfluss, der mich dazu brachte, Mathematik zu studieren, und so bin ich schließlich in diesem Beruf gelandet. Als ich erfuhr, wer sein Vater ist, war ich völlig baff.
Ja, das war womöglich Schicksal. Aber vielleicht hat ja auch eine gewisse Besessenheit Ihrerseits zu dieser Begegnung geführt? (lacht)
(lachen)
Mr. Kikuchi, „Spirit Camera: Das verfluchte Tagebuch“ ist also mit der „Project Zero“-Serie verwandt, an der Sie so lange gearbeitet haben, richtig?
Ja. Ich habe vor über zehn Jahren mit der Arbeit an dem ersten Spiel begonnen. Es kam dann im Dezember 2001 in Japan heraus - also vor genau zehn Jahren.
Das ist schon zehn Jahre her? In letzter Zeit feiern viele Spiele ihr 10. oder 20. Jubiläum. Was schwebte Ihnen vor, als Sie das erste Spiel gemacht haben?
Ausgangspunkt für das Spiel war unser Wunsch, einen Titel mit dem größtmöglichen Gruselfaktor zu erstellen. Also haben wir uns gefragt, was wohl das Allerschauerlichste wäre, und kamen zu dem Schluss, dass es die Dinge sind, die in der eigenen Vorstellung entstehen.
Die schauerlichsten Dinge spielen sich im eigenen Kopf ab.
Genau. Wir dachten also, es wäre gruseliger, wenn wir anstelle grotesker Bilder oder sonstiger Darstellungen die schaurigen Gedanken nutzen, die man z. B. hat, wenn man alleine im Bad ist oder in der Wanne liegt.
Das Schrecklichste ist also nichts Greif- oder Sichtbares, sondern der Gedanke, dass etwas Schauerliches plötzlich irgendwo hervorkommt.
Ja. Videospiele und Filme zeigen oft alles Mögliche, aber „Project Zero“ nimmt davon Abstand. Es blendet umfassende Bildsprache und Geräusche quasi aus, so dass die Spieler das Fehlende von sich aus mit ihrer Fantasie ergänzen.
Die Spieler vervollständigen schwer seh- oder hörbare Dinge automatisch in ihrem Kopf.
Der Gruselfaktor von „Project Zero“ beruht zur Hälfte auf dem eigentlichen Spiel und zur Hälfte auf der Fantasie des Spielers. Wenn man so darüber nachdenkt, ist das im weitesten Sinne des Wortes eigentlich auch AR3. 3. AR: Augmented Reality. Eine Technologie zur Überlagerung virtueller Inhalte und Bilder auf echten Gegenständen.
AR-Technologie ist eine herausragende Funktion von „Spirit Camera: Das verfluchte Tagebuch“; aber im weiteren Sinne hat die „Project Zero“-Serie schon immer Augmented Reality verwendet.
Ich denke schon. Augmented Reality kann sowohl die tatsächliche Technologie bezeichnen, als auch jegliche subjektive Ausschmückung dessen, was wirklich vorhanden ist. Ich habe den Eindruck, wir haben vor allem im Hinblick auf Letzteres einiges an Erfahrungen gesammelt.
In dieser Hinsicht ist auch die Verwendung der Wii-Fernbedienung im vorhergehenden Spiel „Zero: Tsukihami no Kamen“ so fesselnd und eindringlich wie AR.
Das ist etwas, das wir bei unserer Suche nach einer neuen Art der Angst übernommen haben. Es hat sich einfach super für Wii geeignet.
Worauf haben Sie im Laufe Ihrer zehnjährigen Arbeit an der „Project Zero“-Serie besonderen Wert gelegt?
Bei der gesamten Serie war mir das Stimulieren der Fantasie des Spielers immer sehr wichtig. Man fürchtet stets, dass hinter einer Schiebetür oder in einem Schrank etwas auf einen lauert. Normalerweise geschehen in Videospielen schaurige Dinge, wenn man einen Knopf drückt, aber es ist fast noch unheimlicher, wenn dies nicht der Fall ist.
Man ist völlig darauf eingestellt, dass einen etwas anspringt, aber dann stellt sich heraus, dass da gar nichts ist. Je mehr man über die Möglichkeiten nachdenkt, desto größer wird die Angst.
So ist es. Im ersten Spiel haben wir ein altmodisches Haus im japanischen Stil als Kulisse verwendet. Da konnte man sich auf die Angst konzentrieren, die von einem leeren Raum ausgehen kann. Und wir haben unser Konzept der Angst auch seit dem zweiten Spiel darauf aufgebaut. Im zweiten Spiel haben wir dann eine eher geisterhafte Angst in eine tragische Geschichte eingebaut. Im dritten Spiel „Zero: Shisei no Koe“4 haben wir eine Angst dargestellt, die am täglichen Dasein nagt, indem wir zwischen der realen und einer Traumwelt hin- und hergewechselt sind. Die mit AR ausgestattete Hauptgeschichte in „Spirit Camera: Das verfluchte Tagebuch“ ist ganz ähnlich. 4. Zero: Shisei no Koe: Das dritte Spiel der „Project Zero“-Serie. Es wurde im Juli 2005 von Tecmo herausgebracht. In Europa ist es unter dem Namen „Project Zero III: The Tormented“ bekannt.
Sagen Sie ... in der „Project Zero“-Serie kommen doch immer hübsche Mädchen vor.
Äh ... ja. (lacht)
Gibt es einen Grund dafür?
Das kommt jedes Mal aufs Tapet! (lacht) Die meisten Spieler sind männlich – wieso sind die Protagonisten also Mädchen? (lacht) Ursprünglich lag das daran, dass wir beim Erstellen des Spiels überlegten, wie wir es möglichst beängstigend gestalten könnten. Wir dachten, die Spieler könnten sich eher in die Furcht des Charakters einfühlen, wenn sie den verängstigten Gesichtsausdruck eines weiblichen Charakters sehen könnten. Außerdem fügte es sich gut in das Spiel ein, dass eine Frau nur mit einer Kamera bewaffnet den Geistern gegenübersteht, anstelle eines zähen Typen, der sich auf die Gespenster stürzt. Also sind die Hauptcharaktere der Serie junge Mädchen, die wirken, als hätten sie übersinnliche Fähigkeiten, und die außerdem gut aussehen, wenn sie verängstigt sind.
Ich wusste es doch – hübsche Mädchen sind die geheime Hauptzutat der „Project Zero“-Serie! (lacht)
(lachen)
Das ist wohl war. Unschuld, Zerbrechlichkeit und Schönheit. Solche Mädchen scheinen Geister einfach irgendwie anzuziehen – das sehen wir an Horrorgeschichten aus allen Epochen und Kulturen.
Stimmt. Die Mitarbeiter, die an den Grafiken für die Verpackung von „Zero: Tsukihami no Kamen“ für Wii gearbeitet haben, haben mir erzählt, dass Tecmo Koei Games sich beim Abschluss der Arbeiten als sehr eigen erwies, was die Grafiken der weiblichen Charaktere anging.
Ach? (lacht)
Sie haben mir erzählt, dass Sie mehr ins Detail gegangen sind als sie es je erlebt hatten. Sie wussten ganz genau, was Sie wollten, und waren damit sehr eigen. Die Mitarbeiter empfanden das als tollen Lernprozess.
Das liegt vielleicht an unserer Unternehmensphilosophie. Wir legen großen Wert auf Charaktere – die Gesichtsausdrücke, wie das Licht auf sie fällt und wie wir sie anziehender machen können. Ich bin jetzt seit 18 Jahren im Unternehmen und dieser Aspekt hat sich in dieser Zeit nie geändert.
Mr. Izuno, haben Sie bei der Arbeit mit Mr. Kikuchi und anderen, die mit dieser Art der Kultur „groß geworden“ sind, einen Kulturschock erlebt?
Ja, es war schon eine Umstellung. (lacht) Bei den Besprechungen zu „Zero: Tsukihami no Kamen“ dachte ich mir dann etwa: „Okay, das hätten wir dann ja wohl“; aber beim nächsten Mal hatte sich alles total geändert!
(lacht) Sie haben auch Spiele mit Camelot5, AlphaDream6 und in jüngster Zeit auch mit Heibonsha7 entwickelt. Trotzdem hat Tecmo Koei Games sich aber seine einzigartige Persönlichkeit und unverwechselbare künstlerische Identität bewahrt. 5. CAMELOT Co., Ltd.: Ein Entwicklerstudio im Tokioter Bezirk Shinjuku, das 1994 gegründet wurde. Das Unternehmen war an der Entwicklung zahlreicher Nintendo-Spiele beteiligt, darunter an den „Mario Golf“-, „Mario Tennis“- und „Golden Sun“-Serien. 6. ALPHADREAM CORPORATION: Ein Entwicklerstudio im Tokioter Bezirk Shibuya, das 2000 gegründet wurde. Eine der wichtigsten Arbeiten, die das Unternehmen für Nintendo übernommen hat, ist die Action-RPG-Serie „Mario & Luigi“. 7. Heibonsha Limited, Publisher: Ein Publisher mit Hauptsitz im Tokioter Bezirk Bunkyo. Das Unternehmen stellte die Fotos und Beschreibungen für „Hana to Ikimono Rittai Zukan“ zur Verfügung, das in Japan im September 2011 für das Nintendo 3DS-System veröffentlicht wurde. Dieser Titel ist außerhalb Japans nicht erhältlich.
Ich denke schon. Und ich habe bemerkt, dass ihr Engagement für die Charaktere auch wichtig ist, wenn man die Fans berühren will.
Wenn man Charaktere, Animationen und Hintergründe erstellt, die der Spielweise und den Regeln natürlicher Bewegung entsprechen, hat man noch kein funktionierendes Spiel. Es gibt da immer irgendwo einen Moment, an dem das Spiel sein Leben und seine Seele erhält. Bei der „Project Zero“-Serie entstand dieser Eindruck vielleicht, weil wir uns so stark auf die Atmosphäre, die Klänge und die Charaktere konzentriert haben.
Das ist also das Geheimrezept von Tecmo Koei Games beim Einhauchen von Leben in seinen Spielen.
Anm. d. Red.: Dieses Interview wurde ursprünglich im Dezember 2011 veröffentlicht.
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